Mit OKRs durch volatile Zeiten – Praxis-Erfahrungen unserer Kunden
Im Beitrag "Zielsetzung in hochvolatilen Zeiten" haben wir uns mit der Sinnhaftigkeit von Zielsystemen in volatilen Zeiten befasst und dazu unter anderem das OKR Framework beleuchtet. Nun schwenken wir von der Theorie in die Praxis und beschäftigen uns in diesem Beitrag mit den Erfahrungen unserer Kunden bei der Einführung und Etablierung von OKRs.
Den Anfang macht mit uns Jens-Peter Joschek, Head of Innovation Excellence bei Covestro. Er unterstützt die Einführung der OKR Logik im Innovation Management, wo rund 160 Mitarbeiter*innen weltweit R&D Infrastruktur, Innovationsprozesse und Kultur treiben sowie nachhaltige Produkte & Prozesse, neue digitale Lösungen und neue Geschäftsmodelle gemeinsam mit den Geschäftseinheiten für den Polymer-Weltkonzern entwickeln.
Britta: Jens, schön, dass du dir die Zeit für unser Gespräch nimmst und eure Erfahrungen mit dem OKR-Framework teilst. Hilf uns noch einmal die Ziele zu verstehen, die ihr mit der Einführung von OKRs in eurem Bereich verfolgt habt.
Jens: Gerne. Wir haben uns ja seit unserem gemeinsamen Impuls-Workshop 2019 mit OKRs als agiles Instrument zur Strategieumsetzung beschäftigt. Führen mit Zielen war für uns nicht neu und agile Arbeitsweisen hatten in vielen unserer Teams bereits in weiten Bereichen Einzug gehalten. Vom OKR-Instrumentarium haben wir uns vor allem eine noch höhere Stringenz zwischen der Covestro Vision und Strategie zur Umsetzung hin erhofft und mehr Fokus auf das, was wirklich wichtig ist also messbar Werte schafft. In unserem gemeinsamen Workshop Anfang des Jahres haben wir es ja dann in unserem elfköpfigen Führungsteam in nur einem Tag geschafft, vier Objectives zu entwickeln. Damit arbeiten wir auf unsere wichtigsten strategischen Stoßrichtungen „Digitalisierung“ und „Nachhaltigkeit/Circular Economy“ hin und zwar jeweils auf 2 Ebenen: Mit griffigen Use Cases und über sogenannte Enabler – also Aufbau, Implementierung und Nutzung der notwendigen, nennen wir es mal: Infrastruktur. Zu jedem Objective haben wir eine Hand voll Key Results definiert, die seitdem von den Führungskräften und ihren Teams verfolgt werden.
Britta: Wie hat sich die Methodik bewährt im hochvolatilen Jahr 2020?
Jens: Für uns als Führungsteam haben die gemeinsam definierten OKRs vor allem den Management-Meetings Struktur in Form einer fokussierten Diskussion zu den Zielen gegeben. Dort reflektieren wir regelmäßig gemeinsam den Fortschritt und halten so den Fokus auf das Wesentliche. Gerade im Corona-Jahr war es als Orientierungshilfe wichtig , intensive Diskussionen unterjährig zu führen. Denn die externen Bedingungen haben sich sehr schnell geändert und ein Nachjustieren auf Ebene der Key Results war absolut notwendig. Ich würde sagen: die OKRs haben sich gut bewährt, denn sie geben Orientierung, sind strategisch relevant, verständlich und führen zu sehr viel Transparenz, auch bezüglich des Fortschritts, denn sie sind überwiegend gut unterjährig messbar.
Britta: Wie meinst du das, überwiegend messbar?
Jens: Viele unserer Objectives zielen auf ein Business-Outcome ab, also ein Ergebnis für unsere internen Nutzer oder externen Kunden. Zum Beispiel messen wir Neukunden und Ergebnisbeiträge - Top oder Bottom line - unserer Data Science-Lösungen. Da funktionieren OKRs wie im Lehrbuch als anspruchsvolle Ziele. Sie geben gleichzeitig den Teams, die daran arbeiten, viel Raum für die Lösungsfindung und zeigen transparent die Fortschritte für alle, die daran interessiert sind. So leicht ist es aber nicht überall. Wir verfolgen wir auch OKRs, die eher einen „Enabler“-Charakter haben wie z.B. die Steigerung des Anteils an Entwicklungsaktivitäten für nachhaltige Produkte in unserem Innovations-Projektportfolio. Hier messen wir „Output“, also Prozessergebnisse, ohne genau zu wissen, ob und wann dieser Output wirklich zu messbaren Geschäftsergebnissen führt. Der Bezug zur Strategie und den Geschäftsergebnissen ist eher mittelbar. Um die Wirksamkeit dieser Key Results mit Enabler-Charakter sicherzustellen, haben wir insbesondere in meinem Team angefangen unseren internen Kunden die Frage zu stellen: „Welche Ergebnisse würdet ihr von uns erwarten, damit ihr bessere Entscheidungen treffen oder bessere Geschäftsergebnisse erzielen könnt?“ Das war sehr aufschlussreich undwird uns helfen, auch solche eher mittelbaren OKRs ergebnisorientiert auszurichten.
Britta: Das ist eine klasse Frage und ein tolles Beispiel dafür, wie OKRs die Kundenorientierung steigern! Wir haben OKRs im Januar gemeinsam mit dem Führungsteam definiert – wie habt ihr sie denn dann mit euren Teams im Tagesgeschäft weiter operationalisiert?
Jens: Wir haben zunächst einmal die Philosophie verfolgt, dass jede Führungskraft selbst entscheiden darf, ob und wie sie die Methode genau mit ihren Teams einsetzt. Darüber kann man vielleicht streiten, aber ohne Commitment der Führungskraft geht es nun mal nicht. Für mich selbst war klar: OKRs sind mehr als ein Reporting-Instrument. Deshalb habe ich sie mit meinem Team weiter heruntergebrochen und spreche mit dem Team regelmäßig darüber. Regelmäßig widmen wir uns unseren Key Results, schauen uns gemeinsam den Fortschritt an, sprechen über Hürden und alternative Vorgehensweisen. Zusätzlich nehmen wir uns einmal im Quartal einen halben Tag Zeit im Team, um unsere Arbeitsweise in Bezug auf unsere Key Results zu reflektieren und das nächste Quartal zu planen. Wenn ich das zusammennehme mit den individuellen Gesprächen zu OKRs in meinem Team und im Führungsteam, dann nimmt der OKR-Prozess jetzt im „Run“ gut und gerne 10% meiner Arbeitszeit in Anspruch. In der Anfangsphase sicher auch mehr.
Aber mal einen Schritt zurück gehen und sich intensiv Gedanken zu machen, das hilft unserer Arbeit sehr. Wir stellen uns Fragen wie: “Auf welche Werthebel fokussieren wir uns?“, „Wie machen wir das messbar?“ “Wer sind die Stakeholder?“ und priorisieren, wo wir den größten Hebel sehen. Das ist sehr wertvoll, dabei fallen die Key Results fast von selber aus der Diskussion. Auch im „Run“ klingt das viel, steigert aber die Qualität, den Fokus der Diskussion und der Ergebnisse immens und ersetzt in weiten Teilen Dialoge und Diskussionen, die man auch ohne eine OKR Systematik hat. Ich bin von dieser Art zu arbeiten zutiefst überzeugt, denn „Ganz nebenbei“ verbessert auch das unglaublich das Teamklima: Teil der Entwicklung zu sein, Autonomie zu erleben und den Sinn der täglichen Arbeit bis hin zur Vision zu verstehen sind große Motivationstreiber. Mein Team und ich waren allerdings auch schon vor der OKR-Einführung teilweise in agilen Arbeitsweisen geübt: Iteratives Vorgehen, regelmäßige Retrospektiven, Zusammenarbeit auf Augenhöhe – all das war bei uns bereits im Kern angelegt. So schufen die OKRs ein hilfreiches Rahmenwerk, wir mussten aber unsere Art zu arbeiten dafür nicht grundlegend ändern. Führungskräften, die in agilen Arbeitsweisen nicht so geübt sind, fällt die Einführung der OKR Methodik nicht sofort so leicht bzw. hat nicht von Beginn an die volle Wirkung. Teile meines Teams haben dann diejenigen, die daran Interesse hatten, als interne OKR-Coaches begleitet. Dafür sind wir auch aus anderen Unternehmensbereichen schon angesprochen worden, in denen unser OKR-Framework durchaus auf Interesse stößt.
Britta: Wird die Methode also bei euch 2020 überleben? Was wird 2021 anders?
Jens: Ich gehe stark davon aus, nein ich bin davon überzeugt, dass wir auch 2021 mit OKRs weiterarbeiten. Durch die monatlichen Durchsprachen sind sie im Führungsteam etabliert. Methodisch will ich bei der Entwicklung der Objectives 2021 stärker darauf achten, immer ein „um zu“ zu formulieren und so die Verbindung unserer Objectives mit unserer Strategie noch deutlicher zu machen. Außerdem können wir noch besser werden im Leben des Pareto-Prinzips, das auch auf unsere sehr anspruchsvoll formulierten OKRs zutrifft: Wenn wir 80% der Key Results erreichen, sind wir schon richtig gut und dürfen das auch feiern.
Britta: Danke für die Einblicke, Jens! Hast du noch abschließende Tipps oder wichtige Erkenntnisse für unsere Leser, die jetzt vielleicht auch neugierig auf OKRs geworden sind?
Jens: Ja, für mich gibt es wirklich zwei zentrale Aspekte, die jeder, der sich für die Einführung von OKRs interessiert, berücksichtigen sollte. Erstens: OKRs sind nur dann sinnvoll, wenn die damit verbundenen agilen Arbeitsweisen wirklich verstanden und gewollt werden. Das hat viel mit „Agilem Mindset“ bei den Führungskräften zu tun, und mit der Bereitschaft, Zeit in die Förderung von Selbstorganisation zu investieren. Und: OKRs sind nur wirklich kraftvoll, wenn sie den Shopfloor treffen. Ich empfehle jedem, der mit OKRs experimentiert, damit gleich bis auf die untere Hierarchieebene zu gehen. Denn da entfalten OKRs am besten ihre Wirkung als Tool zur Orientierung und zur Stärkung von Selbstorganisation. Allerdings müssen wir uns als Führungskräfte auch genau da auf die kritischsten Fragen gefasst machen, auf die wir vielleicht nicht immer sofort eine passende Antwort haben. Denn auch das gehört dazu – so nutzen wir unsere Teams am besten, nämlich nicht nur zur Zielumsetzung, sondern auch zur Zielentwicklung.
Britta: Vielen Dank, Jens, für die spannenden Einblicke und dafür, dass du deine Erfahrungen anderen zur Verfügung stellst. Toll, dich als agilen Pionier zu unserem Kundenkreis zu zählen und viel Erfolg eurem Team beim Gestalten und Bearbeiten der OKRs für 2021!
Zu der Autorin und dem Autor:
Dr. Britta Müller
ist Organisationsberaterin, zertifizierter Coach und New Work-Lotsin. Seit 2004 begleitet die promovierte Betriebswirtin Top-Executive-Teams in internationalen Konzernen und mittelständischen Strukturen bei der Entwicklung und Umsetzung strategischer Projekte. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind die Gestaltung von Transformationsprozessen auf Unternehmens- und Funktionsebene, die Entwicklung wirksamer Strukturen für organisationale Ambidextrie sowie die Einführung und Etablierung wirksamer Arbeitsweisen zur Strategieumsetzung.
Jens-Peter Joschek
Seit 2007 treibt der promovierte Chemiker bestehende und neue Innovationprozesse, Methoden, Formate und Werkzeuge bei Covestro voran. Bei Covestro ist Innovation mehr als F&E und betrifft alle Covestro Mitarbeiter- unabhängig von Position, Funktion oder Region. Neben dem „Was“ liegt ein besonderer Fokus auf dem „Wie“ - der Innovationskultur. Durch neue Innovationprozesse, Methoden, Formate und Werkzeuge wird für die Mitarbeiter ein Angebot und eine Struktur geschaffen, die die Mitarbeiter in die Lage versetzt, besser zu innovieren, sich persönlich zu entwickeln und Covestro zu transformieren.