Konstruktiver Umgang mit Emotionen
Emotionen in Zeiten von Corona und darüber hinaus
Im Blog-Beitrag vom 19. März hat meine Kollegin Dr. Britta Müller über drei unterschiedliche Arten berichtet, wie wir Menschen dem aktuellen Krisenmodus auf individuell sehr unterschiedliche Art begegnen: Fight (z.B. durch enormen Aktionismus), Flight (z.B. Verleugnung, ist doch alles nicht so schlimm) oder Freeze (gar keine Reaktions- und Handlungsfähigkeit mehr). Und wie wichtig es gerade jetzt ist, sich der eigenen Antwortmuster bewusst zu werden und eine Lücke zu schaffen zwischen den auf uns einprasselnden Reizen und diesen Reaktionsmustern. Ein trainierter “Mindfulness”-Muskel kann dabei hilfreich sein – Muskeltraining dazu lieferten unsere Kolleginnen Katja Reimann und Sandra Claudia Walters.
Diese Lücke in den Abwehrreaktionen (Fight/Aktionismus/Kontrolle, Flight/Verleugnung und Freeze/Erstarrung/Depression) wird aber nur von kurzer Dauer sein, wenn wir uns nicht auch den darunter liegenden, oft mehr oder weniger unbewussten Emotionen zuwenden.
Bewusste Zuwendung zu schwierigen Emotionen statt mental-emotionaler Schleifen
Die sich täglich zuspitzende Corona Situation und das Zerbrechen vieler vertrauter Strukturen berührt bei fast allen Menschen massive Gefühle von Verunsicherung, Orientierungslosigkeit und diffuser, schwer greifbarer Bedrohung.
In dieser Situation greift der Mechanismus mental-emotionaler Schleifen: Ein Grundgefühl von Angst und Verunsicherung verengt unsere Aufmerksamkeit. Das zusammen mit der Flut bedrohlicher Informationen in den Medien erzeugt ein Denken, das dazu neigt, sich ganz auf die Bedrohung zu konzentrieren. Diese Gedanken intensivieren die entsprechenden Bedrohungsgefühle. Und im Griff dieser Emotionen verengt sich unser Denken immer noch weiter auf potentiell Bedrohliches und verläuft in immer engeren Sorgen-Schleifen. Was die Gefühle weiter verstärkt….
Dieser manchmal sehr bewusste, manchmal aber auch halbbewusst oder unbewusst im Untergrund wirkende Mechanismus zwingt uns immer wieder in kompensierende Fight/Flight/Freeze Muster. Deshalb reicht es nicht, nur diese Muster immer wieder zu unterbrechen, sondern es gilt, den an der Wurzel liegenden emotionalen Zustand bewusst in den Blick zu nehmen.
Drei konkrete Schritte zum Umgang mit schwierigen Gefühlen
In meiner Coaching-Arbeit begleite ich Klienten dabei in drei konkreten Schritten:
Schritt 1: Gefühle von Tatsachen trennen
Unser emotionales Gehirn funktioniert wie ein Kind. Es kann Gefühle und Tatsachen nicht voneinander trennen. Wenn es sich so anfühlt, dann ist es auch wahr. Deshalb ist es so wichtig, in einem ersten Schritt Gefühle und Tatsachen zu trennen. Und so unser Denken wieder zu lösen von der Besetzung durch unsere Emotionen. Und unsere Emotionen davon zu befreien, immer wieder durch unser Denken befeuert zu werden.
Dieser Schritt erfordert Disziplin. Es gilt, negative Denk/Fühl-Schleifen zu erkennen und immer wieder bewusst zu unterbrechen. Ich erinnere mich an eine Postkarte, die meine Tochter zu ihrem 18. Geburtstag bekam und auf der stand “Glaube nicht alles was du denkst”.
Schritt 2: Sich einem Gefühl bewusst zuwenden
Das Bild eines “inneren Kindes” ist deswegen so kraftvoll, weil unser emotionales Gehirn (das limbische System) wie ein Kind funktioniert. Der beste Weg mit der emotionalen Anspannung der aktuellen Situation umzugehen ist, von einem sehr bewussten Ich-Platz aus unsere Gefühle nicht für Tatsachen zu halten, sie aber gleichzeitig als die Gefühle eines verängstigten inneren Kindes absolut Ernst zu nehmen.
Was bedeutet es Gefühle ALS GEFÜHLE (und nicht als Tatsachen) ernst zu nehmen? Hier hilft es, sich ein Kind vorzustellen, das Angst hat. Es bringt wenig zu versuchen, dem Kind seine Angst auszureden: “Schau doch mal, da brauchst du doch gar keine Angst zu haben.” Was hilft ist ein Erwachsener, der signalisiert: “Auch wenn du Angst hast bin ich da. Egal was geschieht, ich lass dich nicht alleine.”
Gefühle Ernst nehmen heißt also
1. komplett darauf zu verzichten, etwas an diesen Gefühlen verändern oder verbessern zu wollen
2. bereit zu sein, diese Gefühle vollständig zu erfahren, ihnen nicht auszuweichen, in dem Wissen, dass ich mehr bin als der Teil von mir, der diese Gefühle trägt
Dieser zweite Schritt erfordert Mitgefühl mit mir selber. Mitgefühl ist die Fähigkeit, mit einem anderen Wesen (in diesem Fall mit dem notleidenden Kind in mir) so zu fühlen, als ob ich es selber fühlen würde, ohne in diesen Gefühlen zu versinken. Dabei ist Mitgefühl etwas vollständig anderes als Mitleid. So haben bildgebende Verfahren gezeigt, dass Mitgefühl und Mitleid ganz unterschiedliche Gehirnregionen aktivieren. Wenn wir mit unserem inneren Kind mitleiden, wenn wir mit ihm verschmelzen, versinken wir mit in dem Elend und es gibt keinen “Erwachsenen” mehr, der helfen kann, was die Panik des “Kindes” nur verstärkt.
Zunächst gilt es, sich der zugrunde liegenden Gefühle erstmal bewusst zu werden. Hilfreiche Fragen dabei können sein:
– mit welchen Gefühlen bringt mich die aktuelle Corona Situation in Kontakt?
– Wenn ich jetzt nicht denken/machen/mich ablenken/einfrieren würde, was müsste ich dann fühlen?
Wenn ich jetzt nicht denken/machen/mich ablenken/einfrieren würde, was müsste ich dann fühlen?
Dr. Hermann Küster
Schritt 3: Der „Ja-Prozess“
Hat man das zugrunde liegende Gefühl dann aufgespürt, ermöglicht es die kleine Übung “Ja-Prozess”, einen schwierigen emotionalen Zustand aufzulösen, indem sie ermöglicht tief darin einzutauchen, ohne sich darin zu verlieren. Dieses bewusste Eintauchen in ein zunächst unangenehmes Gefühl erscheint erstmal nicht eingängig, weil unsere Instinkte darauf programmiert sind, solche Zustände zu vermeiden. Der Gewinn ist aber groß weil sich so eine neue Ebene innerer Freiheit öffnet. Gleichzeitig löst sich die mit der Abwehr des Gefühls einher gehende Wahrnehmungsverengung und Energie wird frei wird für kraftvolles und klares Handeln.
Hier findest du eine Beschreibung der Schritte: Ja-Prozess (PDF) und hier ein mp3 Audio, dass in einer Art Meditation in 20 Minuten durch diesen Prozess führt: Ja-Prozess (Audio). Weitere Hinweise für den Umgang mit tieferliegenden Emotionen im Coaching finden Sie, mit direktem Bezug auf die aktuelle Situation, bei unserem Coach-Kollegen Dr. Christopher Rauen.
„Krisen sind nicht selten ein Thema im Coaching. Begleiterscheinungen sind Sorgen und auch Ängste. Verfestigen sich diese zu pathologischen Mustern, so Rauen, entsteht Therapiebedarf. Soweit müsse es jedoch nicht kommen, wenn man sich rechtzeitig bewusst wird, woher die Ängste kommen, welche Funktion sie haben in welchen Formen sie zutage treten und wie man sie bearbeiten kann.“
Christopher Rauen
Mehr dazu hier: www.coaching-newsletter.de
All diejenigen, die sich eine persönliche Begleitung in diesen Themen wünschen, möchten wir an deser Stelle gerne noch einmal auf unser „Erste-Hilfe-Programm“ aufmerksam machen: Artikel vom 30.03.2020.
Autor: Dr. Hermann Küster