Gemeinsam aus der Zukunft schauen - Wie funktioniert eine Regnose?
Am 16. März publizierte Matthias Horx seinen inzwischen viralen Artikel „Die Welt nach Corona“, in der er eine „Corona-Rückwärts-Prognose“ wagte (https://www.horx.com/48-die-welt-nach-corona/). In den erst 6 Wochen seitdem haben sich unsere Gesellschaft und Unternehmenslandschaft bereits deutlich verändert. Eines begleitet uns seitdem: Die Suche nach dem „New Normal“, dem Zustand nach Überwindung der gesundheitlichen Krise und ihrer sozialen und wirtschaftlichen Folgen. Zahlreiche Autoren und Berater sprechen inzwischen über den Ansatz der „Regnose“. Das Vorgehen, das einen innerlichen Zugang zur Zukunft ermöglicht, erscheint sinnhaft. Wie dieser Prozess allerdings umgesetzt wird und zu bearbeitbaren Ergebnissen führt, dazu wurde bisher wenig geteilt.
Wir im Team der Coaching Gesellschaft verstehen uns als „lebendiges Labor für neue, zukunftsweisende Arbeitsweisen“. Deshalb setzten wir uns bereits im März zum Ziel, die „Regnose“ in ein Format zu übersetzen, das Unternehmer, Führungskräfte und Mitarbeitende befähigt, gemeinsam aus der Zukunft zu schauen.
„Als lebendiges Labor für neue, zukunftsweisende Arbeitsweisen wollen wir Unternehmer, Führungskräfte und Mitarbeitende befähigen, gemeinsam aus der Zukunft zu schauen.“
Im April haben wir unser Workshop-Format zur „Regnose“ mit Zukunftsdenkern aus rund 30 Organisationen in verschiedenen Online-Workshops verprobt und überwältigend positive Rückmeldung dazu erhalten. Anlass genug, sich in unserem Blog zu Führung und Zusammenarbeit #inZeitenvonCorona damit auseinander zu setzen.
DAS KONZEPT DER REGNOSE
Die aktuelle, durch die Covid-19 Viruserkrankung ausgelöste Krise stellt eine für unsere Gesellschaft völlig neue Herausforderung dar, die in das gesundheitliche, soziale und wirtschaftliche Leben jedes Einzelnen sowie aller Systeme weltweit eingreift. Die Frage, wie lange diese Krise anhält und ob und wie sie unser Leben und unsere Arbeitswelt auch längerfristig beeinflusst, ist allgegenwärtig. Doch der bislang bewährte Ansatz, Prognosen zu entwickeln und daraus sogenannte „Coping-Strategien“ für die Zukunft zu entwickeln, lässt uns im Stich: Die Corona-Krise ist ein historischer Moment, ein Bifurkationspunkt, eine Gabelung, an der die Zukunft ihre Richtung ändert. Nicht eine allmähliche Adaption an neue Umstände, sondern eine Unterbrechung, eine Diskontinuität, ein Punkt nach dem nichts mehr ist, wie es vorher einmal war.
„Der bislang bewährte Ansatz, Prognosen zu entwickeln und daraus sogenannte „Coping-Strategien“ für die Zukunft zu entwickeln, lässt uns im Stich.“
In solchen Momenten helfen uns Prognosen nicht weiter: Sie erfassen Datenpunkte und extrapolieren diese auf Basis vergangener Erfahrungen zu erkenntlichen Trends, um die Zukunft vorherzusagen. Sinnvolle Prognosen gibt es in diesen Tagen deshalb nicht, weil die Corona-Krise keine Vorbilder hat, es keine vergangenen Erfahrungen gibt, auf die wir zurückgreifen können.
Meist liegt der Fokus von Prognosen zudem auf Gefahren und Problemen, die auf uns zukommen und auf die wir reagieren müssen. Diesen angstgetriebenen Problemblick nehmen zahlreiche Politiker und Unternehmensberater oft zum Anlass, umfassende Strategien und Taktiken zur Vermeidung oder Bewältigung von Risiken und Gefahren zu empfehlen. Wer sich als Entscheider darauf einlässt, nimmt unbewusst die Position des unabhängigen Beobachters ein: Als sei die Zukunft etwas, das uns geschieht und auf das wir reagieren müssen. Dabei vergessen wir unsere Fähigkeit, die Zukunft aktiv gestalten zu können.
Die „Regnose“ beschreibt ein gänzlich anderes Vorgehen: Horx beschreibt sie als eine „Erkenntnis-Schleife, in der wir uns selbst, unseren inneren Wandel, in die Zukunftsrechnung einbeziehen“. Damit zeigt sich der Ansatz der Regnose in zweierlei Hinsicht konträr zu gängigen Prognosen:
- Es geht nicht darum, vergangene Erkenntnisse und Daten in die Zukunft zu extrapolieren, sondern aus aktuellen Wahr-Nehmungen und dem Bruch mit bisherigen Routinen Zukunft intuitiv neu zu denken.
- Statt Risikobetrachtungen und Angstszenarien stehen positive Zukunftsbilder im Fokus – nicht, um Gefahren naiv zu negieren, sondern um aus der Konzentration auf Chancen neue Kraft und Energie für eine aktive Gestaltung der Zukunft zu schöpfen.
Nach diesen konzeptionellen Vorüberlegungen wollen wir uns dem praktischen Einsatz der Regnose widmen.
REGNOSE ALS FORMAT ZUR GESTALTUNG DER (UNTERNEHMENS-)WELT VON MORGEN
Die Regnose weicht radikal von den gängigen, in der Unternehmenswelt üblichen Prognosentechniken ab. Sie erfordert neue methodische Ansätze, die die Beteiligten befähigen, ihre eigene Zeitreise in die Zukunft anzutreten und sich über ihre persönlichen Chancenbilder miteinander auszutauschen.
Ein solcher Prozess erfordert als erstes einen „psychologisch sicheren Raum“, in dem die Beteiligten angstfrei miteinander in Kontakt treten und ihre – manchmal gewagten – Zukunftsbilder zu teilen. Wir berufen uns hier auf das umfangreich erforschte Konzept psychologischer Sicherheit (vgl. z.B. Edmondson 2008, Goller & Laufer 2018), das eine wesentliche Voraussetzung für organisatorisches Lernen darstellt. Ein erster Schritt im Rahmen der Durchführung einer Regnose muss also sein, eine Atmosphäre zu schaffen, in der die Teilnehmer sich sicher und angstfrei mitteilen können.
Ist diese Grundvoraussetzung gegeben, so geht es im zweiten Schritt der Regnose darum, mithilfe niedrigschwelliger Einladungen die Teilnehmer in die Lage zu versetzen, „aus der Zukunft zu schauen“ und das von Horx propagierte „Future Mind“, die Zukunfts-Bewusstheit zu erzeugen. Dazu sind Achtsamkeits- und Assoziativ-Techniken, die im Coaching sowie in Lernformaten zur Persönlichkeitsentwicklung bereits seit vielen Jahren erfolgreich eingesetzt werden, gut geeignet. Solche Techniken unterstützen vor allem unser Gehirn dabei, sich vom Jetzt zu lösen und einen intuitiven Zugang zur Zukunft herzustellen (vgl. bspw. Fabritius/Hagemann 2017). In diesem Schritt geht es im Wesentlichen darum, dass Teilnehmende eigene, Bilder der Zukunft vor ihrem geistigen Auge entstehen lassen und diese ganz konkret werden lassen.
In Schritt drei gilt es, das Gesehene zu teilen und durch den Dialog über die entstandenen Bilder die kollektive Weisheit der Gruppe sichtbar und erlebbar zu machen. Auch diese Vorgehensweise ist – für sich betrachtet – nicht neu (vgl. Surowiecki, 2005), führt aber im Kontext mit den vorausgegangenen Schritten im aktuellen Kontext zu neuen Erkenntnissen und Ergebnissen. Das Teilen individueller Bilder und gemeinsamer Ergebnisse von Kleingruppen lässt schließlich eine positive Grundstimmung entstehen, aus der die Einzelnen sowie die Gruppe Energie für die aktive Gestaltung ihrer Zukunft zieht.
Nach dieser Einstimmung und dem Denken vom Ziel her eignen sich verschiedene bewährte Workshop-Formate, in Abhängigkeit der Gruppengröße und -zusammensetzung, zur aktiven Bearbeitung des Weges in die Zukunft, wobei die Teilnehmer wieder rückwärts gerichtet aus der Zukunft schauen, z.B. anhand der augenzwinkernden Leitfrage „Wie konnte uns das passieren?“
Soweit unsere Regnose-Anleitung – aber funktioniert das auch in der Umsetzung?
ERFAHRUNGEN AUS REGNOSE-WORKSHOPS MIT TEILNEHMENDEN AUS RUND 30 ORGANISATIONEN
Am 22. und 29. April haben wir in virtuellen Workshops mit Teilnehmenden aus rund 30 Organisationen das Format „Regnose“ umgesetzt. Zum Kreis der Teilnehmenden gehörten Gesellschafterinnen und Vorständinnen genauso wie Führungskräfte, Mitarbeitende und Coaches. Zur Anleitung der Regnose war ein in den oben genannten Techniken erfahrenes Team aus sieben Coaches und Beratern der Coaching Gesellschaft im Einsatz, die über zwei Stunden abwechselnd in Individual-Kleingruppen- und Großgruppenformaten mit den Teilnehmenden gearbeitet haben. Dabei galt es, nicht nur das neue methodische Format erfolgreich umzusetzen, sondern gleichzeitig die Techniken Großgruppen-Moderation ohne wesentliche Reibungsverluste virtuell einzusetzen.
Die erarbeiteten Inhalte sprechen für sich: Die Gruppen erarbeiteten Zielbilder zur Unternehmenslandschaft im Großen – z.B. hinsichtlich der Ermöglichung von Nachhaltigkeit ohne unbegrenztes Wachstum -, definierten neue Führungsqualitäten, erzeugten konkrete Bilder zukunftsfähiger Arbeitsumfelder und beschäftigen sich mit stärkenorientierter Persönlichkeitsentwicklung als Ansatz zur Krisenbewältigung.
Um zu beurteilen, ob die skizzierte Vorgehensweise der Regnose dafür dienlich war, beziehen wir uns auf einige Teilnehmerstimmen gegen Ende der Veranstaltungen:
- „Der Ansatz hat mich ermutigt Multiperspektivität wo immer möglich zuzulassen.“
- „Die gemeinsamen Zielvorstellungen schaffen Commitment und intrinsische Motivation.“
- „Das Bewusstsein wird in Hinblick auf Prioritäten geschärft.“
- „Gedankliche Grenzen haben sich aufgelöst.“
- „Jede Minute war gut investiert.“
- „Wir haben unsere Energie auf das konzentriert, was wirklich zählt.“
- „Danke für das Durchbrechen der Jammertalsituation.“
…vieles mehr könnten wir hier zitieren und haben uns aufgrund der überwältigend positiven Resonanz entschieden, die offene, virtuelle Impuls-Session „Regnose statt Prognose – gemeinsam aus der Zukunft denken“ noch einmal kostenfrei anzubieten. Große Unternehmen haben uns bereits eingeladen, ihre Führungsteams in diesem Prozess zu begleiten und wir freuen uns, dieses buchstäblich zukunftsweisende Format noch viele Male zum Gewinn der Teilnehmenden einzusetzen.
Wer neugierig ist, das Format kennenzulernen kann sich hier noch einen der begrenzten Teilnahmeplätze sichern: Eventbrite oder uns direkt kontaktieren: kontakt@diecoachinggesellschaft.de
Zum Autor und zur Autorin:
Dr. Britta Müller
ist Organisationsberaterin, zertifizierter Coach und New Work-Lotsin. Seit 2004 begleitet die promovierte Betriebswirtin Top-Executive-Teams in internationalen Konzernen und mittelständischen Strukturen bei der Entwicklung und Umsetzung strategischer Projekte. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind die Gestaltung von Transformationsprozessen auf Unternehmens- und Funktionsebene, die Entwicklung wirksamer Strukturen für organisationale Ambidextrie sowie als New Work-Lotsin die Begleitung von Organisationen bei der Einführung und Etablierung neuer, wirksamer Arbeitsweisen.
Dr. Hermann Küster
ist seit 2001 tätig als Coach und Entwicklungsbegleiter für innovative Entscheider und Topmanagement in Konzernen und mittelständischen Unternehmen unterschiedlichster Branchen, von Luftfahrt bis Mode. Als Pionier agiler Führungsansätze (Leadership Agility) in Deutschland sind diese in Zusammenarbeit mit Bill Joiner (Boston) bereits seit 2010 ein Kernstück seiner Coaching- und Beratungstätigkeit. Hier ist er oft sowohl Impulsgeber für Top-Management als auch Coach für die Pioniere eines agilen Mindsets und empowerter, selbstorganisierter Teams. Darüber hinaus bildet er seit 15 Jahren Coaches und Berater in transformativen Coaching-Ansätzen aus.