Wirksam führen in Krisenzeiten
Leaders are made, not born – diese Erkenntnis bewahrheitet sich gerade angesichts der derzeitigen Krisensituation. Man mag zur Gefährlichkeit der Viruserkrankung Covid-19 sowie zur Einordnung als Pandemie stehen, wie man mag. Die Auswirkungen auf unser aller Leben sowie auf die Wirtschaft, die für die allermeisten Menschen die Lebensgrundlage darstellt, sind real. Sehr real sogar: Schulen, Büros, Kindertagesstätten geschlossen, Grenzen abgeriegelt, Reisen unmöglich, Millionen Menschen müssen von heute auf morgen zu Hause bleiben – in vielen Ländern erleben wir sogar Ausgangssperren und weitere Einschränkungen unserer persönlichen Freiheiten, die wohl niemand noch vor wenigen Wochen für möglich gehalten hat. So gilt seit gestern auch in Deutschland Kontaktverbot.
Klassische Führung als Auslaufmodell?
Gerade in solchen Zeiten zeigt sich, wie wichtig wirksame Führung ist. In den letzten Jahren habe ich den Eindruck gewonnen, dass klassische Führung ein Auslaufmodell ist und wir am liebsten alles basisdemokratisch in Netzwerken mit möglichst viel Freiraum für den Einzelnen entscheiden wollen. Das war sicherlich ein Zeichen für den lang anhalten wirtschaftlichen Aufschwung und das hohe Wohlstandsniveau, die zusammen viele dieser Freiheiten erst ermöglicht haben – und die auch unbestreitbar sehr viele positive Seiten haben. Jetzt aber, wo sich das Blatt leider gewendet hat, sieht das anders aus und wir werden erleben, dass „die Spreu sich vom Weizen trennt“ – wir werden Enttäuschungen erleben durch „Leader“, die uns allein lassen oder falsche Prioritäten setzen. Wir werden aber auch Überraschungen erleben, wenn Menschen, denen wir das niemals zugetraut hätten, auf einmal in eine aktive Führungsrolle gehen und uns allen damit helfen, diese herausfordernden Zeiten zu meistern. Wie gesagt: Leaders are made, not born.
Die wirksame Führungskraft: Sieben Tugenden #inZeitenvonCorona
Damit stellt sich die Frage, was denn außer den besonderen Umständen nun die wirksame Führungskraft ausmacht. Meiner Erfahrung nach sind das vor allem folgende Punkte, die ich jedem/jeder in einer aktiven Führungsrolle gerade für die nächsten Tage und Wochen ans Herz lege:
1. Geben Sie Orientierung – Ihre wichtigste Aufgabe als Führungskraft. Machen Sie klar, von wem was bis wann gebraucht wird, welche Prioritäten zu setzen sind und was liegen bleiben kann. Konkretes hängt natürlich von der Art Ihres Geschäfts ab, aber im Wesentlichen heißt das, Kunden bestmöglich zu unterstützen, die Substanz des Unternehmens zu schützen und für die Sicherheit Ihrer Mitarbeiter zu sorgen. Oder mit einem Begriff: business continuity. Dabei dürfen sich Mitarbeiter natürlich einbringen – laden Sie explizit dazu ein, setzen Sie aber auch dafür einen klaren Handlungsrahmen.
Wer bereits mit dem Performance-Management-Ansatz OKR (Objectives/Key Results) arbeitet, kann diesen jetzt sehr wirksam einsetzen: reduzieren Sie den Rhythmus auf eine sehr enge Taktung und einigen Sie sich beispielsweise, welche Ziele in den nächsten Wochen Priorität haben und was auf Wochenbasis für deren Erreichung passieren muss.
Und all diejenigen, für die OKR neu ist: jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, darüber nachzudenken.
2. Stellen Sie alle benötigten Ressourcen zur Verfügung und setzen Sie Regeln außer Kraft. Vergessen Sie, wer anspruchsberechtigt ist und wer nicht, ob Sie das Budget sprengen sowie alle anderen Spielregeln, die nicht für Krisensituationen gemacht wurden. Tun Sie einfach, was Sie in Ihren Führungskräfte-Trainings immer gehört haben: handeln Sie, als ob es Ihr eigenes Unternehmen wäre. Mit Sinn und Verstand. Nur nicht vergessen: Gesundheit und Sicherheit haben oberste Priorität – nicht Profit!
3. Proaktiv kommunizieren – unabhängig davon, ob Sie als Führungskraft zuversichtlich und optimistisch sind oder ob Sie selbst Sorgen und Ängste haben: Ihre Mitarbeiter brauchen Sie jetzt. Treten Sie nicht als „Kontroletti“ auf, aber schaffen Sie eine tägliche Kommunikations-Routine, die Sicherheit gibt. Kommunizieren Sie beispielsweise jeden Morgen oder jeden Abend zur gleichen Zeit, welche Neuigkeiten es gibt. Gibt es keine, kommunizieren Sie auch das – manchmal sind keine Neuigkeiten = gute Neuigkeiten. Das müssen wir aber auch aussprechen, um Spekulationen zu verhindern, dass im Hintergrund ganz Schlimmes passiert. Das Medium ist egal: E-Mail, Telefonkonferenz, Web-Meeting, was auch immer Ihre Möglichkeiten sind. Wichtig ist die Message from the Top: sind Sie selbst Executive Leader, gehen Sie raus und kommunizieren Sie mit Ihren Mitarbeitern. Gerade das Middle Management in Ihrer Organisation braucht jetzt Ihre Rückenstärkung. Haben Sie direkten Zugang zu Executives: nutzen Sie Ihren Einfluss und überzeugen Sie, wie wichtig solche Botschaften jetzt für die Moral sind. Viele Mitarbeiter machen sich sicherlich nicht nur Sorgen um die aktuelle Situation sondern auch um ihre Jobs. Greifen Sie das auf und beruhigen Sie, Jobunsicherheit braucht jetzt niemand (eventuell müssen Sie dafür kreative Problemlösungen entwickeln, aber das Ihr Job).
4. Seien Sie authentisch – es ist absolut in Ordnung, anzusprechen, dass Sie selbst besorgt sind und nicht genau wissen, wann es wie weitergeht. Seien Sie ehrlich, seien Sie dabei aber gleichzeitig verantwortungsbewusst und verbreiten keine Panik. Sicherlich ein schmaler Grat und alles andere als einfach, aber Ihre Verantwortung ist es, Mitarbeiter zu beruhigen sowie ihnen Sicherheit sowie die Zuversicht zu geben, dass es weitergeht. Und wenn auch das nicht sicher ist, schaffen Sie zumindest Prozess-Sicherheit, indem Sie darüber informieren, wann Sie sich wieder mit Ihren Mitarbeitern in Verbindung setzen und was bis dahin gilt.
5. Stehen Sie für Fragen zur Verfügung – am besten rund um die Uhr. Das mag sich extrem anhören, ist aber wichtig. Nutzt jemand das unangemessen aus oder ist war der Anruf um 2 Uhr morgens doch nicht so kritisch: geben Sie angemessen Feedback, um das für die Zukunft zu unterbinden. Ihre Mitarbeiter sollten aber niemals besorgt die Frage stellen, ob sie Sie anrufen/ansprechen können oder besser doch nicht.
6. Checken Sie regelmäßig mit all Ihren Mitarbeitern ein: rufen Sie an, schreiben Sie eine Mail, gehen Sie vorbei und erkundigen Sie sich, wie es ihnen und ihren Familien geht und ob sie irgend etwas brauchen bzw. ob Sie anderweitig unterstützen können. Und ja, ich meine wortwörtlich mit allen Mitarbeitern. Sie haben zu viele? Dann suchen Sie sich ein oder zwei Wing (Wo)Men, mit denen Sie sich das aufteilen können. Die stärksten Charaktere, die Sie im Team haben. Sie finden, Sie haben nicht ausreichend Zeit dafür? Dann haben Sie Ihre Führungsaufgabe nicht richtig verstanden. Punkt.
Wer glaubt, er habe jetzt keine Zeit für persönliche Gespräche, hat seine Führungsaufgabe nicht verstanden. Punkt.
7. Moderieren Sie Konflikte im Team: naturgemäß gibt es viele unterschiedliche Interessen. Während die einen im Home Office Kinder betreuen und weniger produktiv sein können, müssen andere Ausfälle im Team mit ihrem Arbeitseinsatz kompensieren. Das wird nicht immer Freude hervorrufen. Sorgen Sie für Transparenz, machen Sie klar, warum es wichtig ist, sich gegenseitig zu unterstützen und reden Sie mit denjenigen, die mehr beitragen müssen, unter 4 Augen (oder Ohren), warum Sie sie jetzt brauchen. Die allermeisten werden das verstehen.
Ich bin noch mal durch alle Punkte durchgegangen, um zu sehen, ob ich etwas vergessen habe – und dachte: „Ist doch gar nicht so schwer!“. Alles eine Frage der richtigen Einstellung und dann einfach mal machen. Ich kann mir vorstellen, dass Sie und Ihr Team am Ende gestärkt aus der Geschichte hervorgehen. Oder um ein anderes Bonmot zu bemühen: jede Krise ist auch eine Chance.
Bleiben Sie gesund!
Autor: Alexander Göttling