Kompetenzen einer agilen Führungskraft
Die Entwicklung Agiler Organisationen ist ein Schwerpunkt unserer Arbeit. Dr. Hermann Küster ist als Coach und Entwicklungsbegleiter seit über 10 Jahren mit diesem Thema vertraut. In einer Interview Serie auf dem Blog werden wir im Rahmen des digitalen Adventskalenders verschiedene Impulse rund um das Thema Agilität vorstellen. „Kompetenzen einer agilen Führungskraft“ bilden hierbei den Auftakt der Impuls-Reihe. Dieses Gespräch führte Chiara Beck (CB) mit Dr. Hermann Küster (HK) im Rahmen eines Experteninterviews für ihre Bachelorarbeit an der International School of Management Frankfurt/Main.
CB: Dr. Hermann Küster, wie würden Sie eine agile Organisation definieren?
HK: Dazu ist schon viel gesagt worden. Wenn man einen Schritt zurücktritt und sich das Ganze mit Abstand anschaut, sticht für mich ein Aspekt besonders hervor.
Wir kommen aus einer Welt, in der wir Organisation als Maschine denken, die von oben nach unten durchgesteuert wird und an deren Anforderungen sich der Mitarbeiter anzupassen hat. Zu einer agilen Organisation gehören für mich Elemente wie Selbstorganisation und intrinsische Motivation. Eine Organisation die so beweglich ist, dass sie in der Lage ist, sich an den Mitarbeiter und sein individuelles Potenzial anzupassen. Und sich gleichzeitig hoch flexibel auf an ein sich veränderndes Umfeld anpassen kann. So entstehen Organisationen, die vom Getriebenen zum Treiber von Innovation werden. Man könnte sagen, dass es im Kern um ein gänzlich neues Organisationsparadigma geht und nicht um einzelne neue Methoden. Und natürlich zeigt sich dies auch in Strukturen, Prozessen und Methoden.
CB: Und was ist Ihre Einstellungen zu agilen Organisationen?
HK: Da geht die Reise hin, das ist gar keine Frage. Angesichts der jetzt einfliegenden Themen wie Digitalisierung, Internet of Things und vor allem der massenhaften Anwendung künstlicher Intelligenz, ist das nicht optional. Diejenigen, die es nicht schaffen, wird es – je nach Branche – in zehn, fünfzehn oder zwanzig Jahren nicht mehr geben. Die Frage ist, wie geschieht das?
Da gibt es neben wunderbaren Dingen oft auch schwierige Entwicklungen. Es gibt alles, deshalb kann man es nicht so pauschal sagen. Wir beobachten, dass es inzwischen viele Unternehmen gibt, in denen das Wort "agil" schon so verbrannt ist, dass man damit dann besser nicht mehr durch die Tür kommt. Dies kann geschehen, wenn Agilität von oben erzwungen und gegen Widerstände durchgesetzt worden ist.
Was dann geschieht ist, dass Führung zunächst mehr Selbstverantwortung und Initiative nicht nur ermöglicht, sondern einfordert. Doch wenn es dann eng wird, führen nicht untersuchte Kontrollverlustängste dazu, dass das Ruder wieder fest in die Hand genommen wird. Entgegen der angestrebten Agilität wird wieder klassisch durchgesteuert, was unglaublich viel Frustration erzeugt. So kann viel Schaden angerichtet werden.
"Diejenigen, die es nicht schaffen, wird es in zehn, fünfzehn Jahren nicht mehr geben."
Gleichzeitig gibt es aber auch fantastische Beispiele, wo agile Transformation wirklich die Kultur einer Organisation zutiefst verändert, in Richtung Empowerment, Initiative und Innovationskraft. Es gibt somit ein breites Spektrum an möglichen Reaktionen bei der Einführung von Agilität in Unternehmen. Dabei liegt der Zentralschlüssel, der über Erfolg und Misserfolg agiler Initiativen entscheidet, im Mindset derjenigen, die den Wandel treiben und gestalten.
CB: Es gibt zentrale Kompetenzen einer agilen Führungskraft.
- Sie braucht die geistige Möglichkeit komplexe Sachverhalte zu verstehen.
- Sie muss in der Lage sein, vorhandenes Wissen zu hinterfragen.
- Sie sollte andere inspirieren und zur Weiterentwicklung anregen.
- Sie hat ausgeprägte soziale Intelligenz und Selbstmanagement.
Was ist Ihre Meinung zu den vier genannten Kompetenzen?
HK: Ich widerspreche dem allem nicht. Und ich glaube, dass Freude an Entwicklung in Bezug auf sich selbst und andere ein ganz wesentlicher Teil ist. Darin ist enthalten, andere zu inspirieren und sie anzuregen, sich weiterzuentwickeln. Einen wichtigen Aspekt der sozialen Fähigkeit ist in meinen Augen aber auch, sich selbst weiter entwickeln zu wollen. Entwicklungsneugier ist für mich besonders zentral. Komplexe Sachverhalte verstehen ist sicherlich hilfreich, doch noch wichtiger ist es, eine ganze Organisation dazu zu befähigen, diese komplexen Situationen selbst zu verstehen und zu lösen. So dass die Organisation in ihrer Ganzheit bewusster wird. Man könnte auch sagen, die wichtigste Kompetenz einer agilen Führungskraft ist es, eine lernende Organisation zu gestalten, eine Organisation, die ständig dazulernt, ständig Fehler macht und aus jedem Fehler lernt.
"Die wichtigste Kompetenz einer agilen Führungskraft ist es, eine lernende Organisation zu gestalten, eine Organisation, die ständig dazulernt, ständig Fehler macht und aus jedem Fehler lernt."
Als Kernaufgabe sehe ich also, Entwicklungsneugier zu fördern und das Lernen in einer Organisation zu gestalten. Im Fokus der sozialen Fähigkeiten steht dabei auch, Räume psychologischer Sicherheit zu gestalten. Dies sind emotional sichere Räume, in denen ich „dumme“ Fragen stellen und mich auch mit Ungelöstem zeigen kann. In denen ich weiß, dass ich nicht vorschnell bewertet werde und mich deshalb öffnen und vertrauen kann.
CB: Können Sie die Gründe für Räume der psychologischen Sicherheit genauer vorstellen?
HK: Von 2012 bis 2016 hat Google eine groß angelegte Studie zu Team Performance durchgeführt. Dort wurden verschiedenste Variablen auf einen Zusammenhang mit Team Performance hin untersucht: Möglichst nur Top-Performer im Team oder lieber durchmischt? Sollten möglichst alle gleich intelligent sein, hilft ein ähnlicher Lebenshintergrund, gemeinsame Vorlieben? Lieber gleiche Ausbildung oder möglichst unterschiedlich, interdisziplinär oder alles Experten derselben Richtung? Fördert ein Top-Performer das Team und reißt andere mit oder bremst der Frust der Anderen das Team aus? Besser nur Extrovertierte oder mit Introvertierten mischen? Und vieles mehr.
Für keine dieser diese große Menge an untersuchten Variablen war eine signifikante Korrelation zu Team Performance feststellbar. Die Studie drohte also zum Fehlschlag zu werden. Dann sind ist eine Projektmitarbeiterin auf das Konzept „Psychologischen Sicherheit“ gestoßen. Daraufhin hat das Projektteam die Daten auf diesen Aspekt hin untersucht. Das überraschende Ergebnis war, dass psychologische Sicherheit tatsächlich der Nummer 1 Faktor für gute Team Performance ist, weit vor jedem weiteren untersuchten Faktor.
Jeder, der den Übergang in agile Arbeitsweisen gestaltet, muss also in der Lage sein, einen Raum gegenseitigen Vertrauens zu schaffen. Es muss jemand sein, dem die Menschen vertrauen und der dadurch in der Lage ist, emotionale Sicherheit zu schaffen. Vertrauen ist der „Agilitäts-Ermöglicher“ Nummer 1. Es gibt keinen zentraleren. Und Angst ist „Agilitäts-Verhinderer“. Es gibt keinen zweiten Faktor, der auch nur annähernd ähnlich machtvoll Agilität verhindert wie Angst. Die Achse Angst-Vertrauen bildet die Skala, auf der man vorhersagen kann, wie erfolgreich agile Projekte werden. Wenn Menschen sich sicher fühlen, sind sie offen, können sich entwickeln und vieles ausprobieren. Wenn sie Angst haben, halten sie unweigerlich an Altem fest, das ist ganz natürlich.
Zusammenfassen lässt sich sagen:
- Agile Organisationen ermöglichen eine Potentialentfaltungskultur
- Intrinsische Lern- und Entwicklungsneugier ist ein Kernmerkmal eines agilen Führungs-Mindsets und schafft die Basis für eine lernende Organisation
- Vertrauen ist der zentrale Ermöglicher, Angst der zentrale Verhinderer
- Es braucht Führung, die in der Lage ist, mit einer Vertrauenskultur den kulturellen Boden für erfolgreiche Transformation zu bereiten
Der nächste Beitrag wird sich deshalb im Besonderen dem Thema „Mindset“ widmen.
Dr. Hermann Küster
ist seit 2001 tätig als Coach und Entwicklungsbegleiter für innovative Entscheider und Topmanagement in Konzernen und mittelständischen Unternehmen unterschiedlichster Branchen, von Luftfahrt bis Mode. Als Pionier agiler Führungsansätze (Leadership Agility) in Deutschland sind diese in Zusammenarbeit mit Bill Joiner (Boston) bereits seit 2010 ein Kernstück seiner Coaching- und Beratungstätigkeit. Hier ist er oft sowohl Impulsgeber für Top-Management als auch Coach für die Pioniere eines agilen Mindsets und empowerter, selbstorganisierter Teams. Darüber hinaus bildet er seit 15 Jahren Coaches und Berater in transformativen Coaching-Ansätzen aus.
Chiara Beck
führte dieses Gespräch im Rahmen eines Experteninterviews für ihre Bachelorarbeit an der International School of Management Frankfurt/Main.