Führung & HR – Erfolgsfaktoren für Hybrid Work
Welche Chancen und Herausforderungen liegen in der Gestaltung von Hybrid Work in der Zukunft? Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um diese Chancen nutzen zu können, und wie können wir den Herausforderungen wirksam begegnen? Und welchen Beitrag kann und muss Führung sowie der Bereich Human Resources dafür leisten? Diese und weitere Fragen beleuchtet Michaela Meyer im Expertinnen-Interview mit Anke Engels, Leiterin des Kompetenzcenters Personalentwicklung bei der toom Baumarkt GmbH.
MM: Seit 2 Jahren leitest du das Kompetenzcenter der Personalentwicklung bei der toom Baumarkt GmbH, einer strategischen Geschäftseinheit der Rewe Group, und bist in dieser Rolle Führungskraft von 25 Mitarbeitenden in 3 Teams. In deiner Zeit bei toom hast du die Personalentwicklung maßgeblich umstrukturiert hin zu einer kundenzentrierten Dienstleistungsabteilung, bei der alle eingehenden Arbeitsaufträge transparent gemacht werden und in Konkurrenz zueinanderstehen. Was ist noch wichtig über dich zu wissen?
AE: Ein Kernelement meiner Grundhaltung als Personalentwicklerin ist es, Mitarbeitende grundsätzlich stärkenorientiert zu entwickeln und einen Rahmen zu schaffen, in dem sie sich auch cross-funktional einbringen können. In der konkreten Umsetzung nutzen wir zur Steuerung unter anderem agile Projektmanagementmethoden und priorisieren unsere Themen mittels eines KANBAN-Boards. Aus meiner mehrjährigen Zeit als Agile Culture Coach bringe ich hierfür nicht nur das dafür notwendige Handwerkszeug mit, sondern verstehe mich auch in meiner Haltung als Rahmengeberin und „Enablerin“ für Potenzialentfaltung. „Command & Control“ funktioniert schon länger nicht mehr. Außerdem ist es vielleicht spannend zu wissen, dass ich meinen aktuellen Job in 80% Teilzeit abdecke.
MM: Um zunächst einmal bei deiner Rolle als Führungskraft zu bleiben, welche Kernherausforderung begegnet dir, aus dieser Perspektive heraus, aktuell in Bezug auf das Thema Hybrides Arbeiten?
AE: Um dies beantworten zu können, muss ich mir als Führungskraft zunächst eine andere Frage stellen: Wie verstehe ich meine Arbeit und meine eigene Rolle? Bin ich Expertin für Fachthemen oder verstehe ich Führung als eigene Aufgabe? Wie ich bereits angedeutet habe, bedeutet Führung für mich Rahmengeberin zu sein mit der Intention ein System zu kreieren, in dem Menschen wirksam arbeiten und sich entwickeln können. Das heißt, zunächst einmal brauche ich eine Wahrnehmung dafür, was es in der Zukunft brauchen wird, denn die Rahmenbedingungen werden umso anspruchsvoller je mehr wir in einem „remote“ oder „hybrid“ Modus zusammenarbeiten. Außerdem braucht es Selbstbeobachtung und Selbstreflektion sowie ein kontinuierliches Hinterfragen der eigenen Rolle und wie auch diese sich verändern und entwickeln muss. Für beides braucht es Zeit, die ich mir einräumen muss, während ich gleichzeitig sicherstelle, dass das Tagesgeschäft weiterläuft. Letzteres stellt in meiner Rolle aktuell eine besondere Herausforderung dar, da sich die Menschen unter „remote“ Bedingungen automatisch weniger sehen.
MM: Wie begegnest du dieser Herausforderung?
AE: Das Wichtigste ich das Sicherstellen von ausreichend Zeit 1:1 mit jedem einzelnen Teammitglied sowie gemeinsame Zeit miteinander als Team bzw. Abteilung. Diese Zeit nutzen wir vor allem dafür, Vereinbarungen darüber zu treffen, wie wir miteinander arbeiten wollen. Das umfasst einfache Regeln, z.B. die Teilnahme an Remote-Meetings mit eingeschalteter Kamera bis hin zu übergreifenden Themen, z.B. welche Meeting- und Kommunikationsstrukturen wir für ein erfolgreiches Miteinander brauchen. Von mir als Führungskraft verlangt dies vor allem Role Model zu sein, aber auch über Ziele zu führen. Um den Bogen zu meinem Führungsverständnis zu schließen: rein fachliche Führung reicht spätestens an dieser Stelle nicht mehr aus.
MM: Du hast das Thema „Remote Work“ bereits angesprochen. Wir wird denn nun aus einem „remote“ heute ein „hybrid“ in der Zukunft?
AE: Zunächst einmal müssen wichtige Schlüsselfragen besprochen und geklärt werden: Welche technische Ausstattung und Raumausstattung müssen gegeben sein, z.B. 360 Grad Kameras in Besprechungsräumen? Wie können wir kommunizieren und arbeiten, ohne andere vor Ort zu stören, d.h. es wird auch eine größere Anzahl an Besprechungsräumen brauchen und dafür weniger Einzelarbeitsplätze. Und welche Formate und Methoden können diese neue Form der Zusammenarbeit begleiten und wie findet die Dokumentation statt? Meiner Einschätzung nach wird es in Zukunft einen Dreiklang geben aus Präsenz, Remote und Hybrid Work. Präsenz ist einfach. Remote wurde in den letzten 1,5 Jahren richtig viel trainiert und auch da sind wir mittlerweile gut geübt. Und das was jetzt ist, ist noch nicht hybrid! Die nächste Herausforderung wird sein, hybrides Arbeiten zu gestalten und einzuüben.
MM: Es braucht also nicht nur neue Technik und neue Raumkonzepte, sondern die Initiierung eines gemeinschaftlichen Gestaltungs- und Lernprozesses. Um dieser nächsten Herausforderung erfolgreich zu begegnen, welche Voraussetzungen müssen dafür aus deiner Sicht erfüllt sein?
AE: Ich muss vor allem wahrnehmen, was die Bedürfnisse der Mitarbeitenden sind. Dies gelingt durch Zuhören, Hinhören und Nachfragen auf der kommunikativen Ebene, und der gemeinsamen Durchführung von Retrospektiven, z.B. mit der Fragestellung: was wird gerade als besonders hilfreich oder weniger hilfreich erlebt in Bezug auf das Thema XY, auf der methodischen Ebene. Und es gilt – du hast das Stichwort in deiner Frage schon genannt – Konzepte gemeinsam zu erarbeiten, in dem wir die vorhandenen Stärken und Potenziale aller Mitarbeitenden in die Nutzung bringen.
MM: Und in dieser Aussage steckt auch schon der nächste Entwicklungsschritt in Bezug auf das notwendige Führungs-Mindset in den Startlöchern: wir müssen Co-Denken und Co-Gestalten als wirksamste Kraft in Bezug auf die Gestaltung der Zukunft verstehen. An dieser Stelle wird sehr deutlich auch der Andockpunkt an HR und in deinem Falle deiner Rolle als Leiterin des Kompetenzcenters der Personalentwicklung sichtbar. Welchen Beitrag kann HR aus deiner Sicht für diese anstehende Transformation leisten?
AE: Zum einen muss HR, zusätzlich zu den Führungskräften im Business, ein Ohr an den Bedürfnissen der Menschen und das andere Ohr am Markt haben, um Entwicklungen, Muster und Trends frühzeitig und ganzheitlich zu erfassen. HR kann dann passende und hilfreiche Formate und Methoden anbieten, die den Dialog unterstützen, z.B. durch die eben bereits erwähnten Retrospektiven. Dazu gehört auch die Begleitung und Beratung des Business bei der Gestaltung neuer Raumkonzepte inkl. notwendiger technischer Ausstattung. Im Selbstverständnis sollte HR sich als Gestalter einer lernenden Organisation betrachten, der Veränderungen prototypisch erprobt und eine Kultur gemeinsamen kontinuierlichen Lernens gestaltet und begleitet.
MM: Welche möglichen Hürden oder Hindernisse siehst du – über den notwendigen Mindset-Shift hinaus – auf diesem Weg hin zu mehr Co-Denken und Co-Gestalten?
AE: Zunächst einmal gibt es aktuell noch Restriktionen in der Gesetzgebung, die uns in der Flexibilität der Ausgestaltung hybrider Arbeit hemmen oder blockieren. Zum Beispiel gibt es bei uns schon seit Jahren eine Regelung „Alternierende Telearbeit“, die es den Mitarbeitenden ermöglicht, zuhause zu arbeiten, sofern sie ein Büro nachweisen können. In den letzten anderthalb Jahren mussten nun so viele Menschen wie möglich von zuhause arbeiten, auch ohne Büro. Und die sollen jetzt zurückkommen mit dem Argument, dass sie zuhause kein Büro nachweisen können. Mit solchen Vorgaben bzw. Erwartungen machen wir uns unglaubwürdig und hier muss dringend nachgebessert werden. Zusätzlich gibt es diverse interne Konzernregularien, die grundsätzlich schnellerer und flexiblerer Anpassungsmöglichkeiten bedürfen.
MM: Damit die Hybrid Work Transformation erfolgreich wird, was sollten wir aus deiner Sicht nicht mehr tun bzw. womit sollten wir unbedingt anfangen?
AE: Auf gar keinen Fall sollten wir unreflektiert zu dem zurückkehren, wo wir herkommen und wie es „früher“ war. Stattdessen sollten wir uns immer wieder folgende Fragen stellen: Welchen Sinn & Zweck hat eine Besprechung oder eine Kommunikation? Was ist ihr Mehrwert und bei wem entsteht dieser? Was ist mein intendiertes Ziel oder Ergebnis? Welche Ressourcen und welchen Personenkreis mit welchen Beiträgen brauche ich dafür? Welche Kosten bzw. Kostenersparnisse – zum Beispiel im Hinblick auf Reisekosten und -zeiten – stehen dem Nutzen gegenüber? Und was ist, aus der Auseinandersetzung mit diesen Fragen abgeleitet, nun das passendste Format – Präsenz, Remote oder Hybrid? Hybrid Work passt eben auch nicht immer, sondern wir müssen individuell hinschauen und bewerten, wann sie hilfreich und sinnvoll sein kann.
MM: Welches Potenzial und welche Chancen liegen in „Hybrid Work“ für die Arbeit der Zukunft?
AE: Durch die individuelle Ausrichtung an den Bedürfnissen der Mitarbeitenden steigt ganz sicherlich ihre Arbeitszufriedenheit. Auch der Gewinn an Lebenszeit- und -qualität durch weniger Fahrzeiten kann immens sein. Wichtig ist, dass es nach wie vor die Möglichkeit gibt, ins Büro kommen zu können. Für viele Menschen findet dort ein wichtiger Teil ihres Soziallebens statt. Home-Office ist nicht automatisch die beste Lösung für jeden. Und auch die Unternehmen profitieren: Loyalität und Mitarbeiterbindung durch das Eingehen auf individuelle Bedürfnisse bei gleichzeitig steigender Unabhängigkeit des Arbeitsplatzes vom Lebensort sind aus meiner Perspektive wesentliche Erfolgsfaktoren in einer sich stetig verschärfenden Konkurrenzsituation zwischen Unternehmen im „War for Talents“.
MM: Welcher Fähigkeiten und Kompetenzen sollten Mitarbeitende mitbringen, um diese umfassende Transformation unserer Arbeitswelt mitdenken und mitgestalten zu können?
AE: Jenseits aller nach wie vor wichtigen fachlichen Voraussetzungen braucht es Menschen, die Veränderung als Chance sehen und diese sowohl visionär denken als auch in die Umsetzung bringen können und wollen. Da die Zeiten von „Command & Control“ vorbei sind, müssen wir uns außerdem noch mehr als Lernende verstehen und das eigene Tun – einschließlich aller Prototypen, Fehler und Learnings – als Entwicklungs- und Gestaltungsbeitrag in Richtung Zukunft betrachten.
MM: Du sprachst eben – beim Thema Ersparnis von Reisezeiten und -kosten – schon das Thema Nachhaltigkeit an. Welche weiteren Werte werden deiner Beobachtung nach in der Arbeit der Zukunft eine noch größere Bedeutung erfahren?
AE: Dies sind ganz sicherlich Transparenz, Dialog auf Augenhöhe, Bedürfnisorientierung und Co-Kreation.
MM: Was würdest du anderen Führungskräften, HR-lern und auch Mitarbeitenden raten, welchen allerersten Schritt in Richtung dieser Zukunft sie gehen können?
AE: Aus Führungsperspektive ist dies, das Verhältnis von Fach- und Führungsaufgaben im eigenen Arbeiten zu reflektieren, sprich welchen Teil meiner Zeit verbringe ich mit dem Arbeiten „im System“ vs. „am System“. Dies sollte ca. einem Verhältnis von 70/30 entsprechen. Für HR ist es essenziell, mit internen Kunden in den Dialog zu treten, um aktuelle wie sich zeigende zukünftige Bedürfnisse genau zu verstehen. Gleichzeitig sollte HR im Selbstverständnis insofern Experte bleiben, dass sie Trends am Markt genau beobachten und reflektieren, und als Kulturgestalter bei neuen Themen vorangehen. Und allen Mitarbeitenden kann ich nur ans Herz legen: bleibt offen, sprecht Dinge an und kommt somit in den Dialog. Macht das, was euch bewegt, sichtbar und somit nutzbar!
MM: Ganz lieben Dank Anke für diesen inspirierenden Austausch und das Teilen Deiner Perspektive!
Zu den Autorinnen:
Michaela Meyer
Beraterin, Coach & CoCreative Facilitator für Organisationsentwicklung und Potenzialentfaltung. Ich begleite mit Leidenschaft Organisationen, Führungskräfte und Teams bei der gemeinschaftlichen Gestaltung und Verwirklichung ihrer Entwicklungsvorhaben.
Anke Engels
Viele interessante Stationen liegen auf meinem beruflichen Weg hin zu meiner jetzigen Position: als Mitarbeiterin der angewandten Forschung am Fraunhofer IPA über die Selbständigkeit hin zur Personalentwicklung Konzern und der Managementakademie der Rewe Group. Meine Erfahrungen als Agile Culture Coach bei der Toom Baumarkt Gmbh haben die Grundlagen für mein gelebtes Führungsverständnis als Fachbereichsleiterin geprägt.