Eine Anleitung für Besonnenheit
Die letzten Tage waren davon geprägt, eine neue Ordnung in das Chaos zu bringen, das Corona in unserem Alltag erzeugt. Krisenstäbe wurden eingerichtet, Heimarbeitsplätze bezogen, Termine und Kinderbetreuung neu organisiert. Und jetzt? Langsam kehrt Stille ein, gepaart mit einem Gefühl von Unbehagen, auf das wir unterschiedlich reagieren. Was passiert gerade eigentlich in unseren Köpfen? Und wie erlangen wir die „Besonnenheit“, um die uns Regierungen und Forscher täglich mit Nachdruck bitten?
Für den heutigen Beitrag bedanken wir uns bei den Impulsgebern Charlotte Kreft, Katja Reimann und Michaela Meyer, sowie Friederike Fabritius und Hans W. Hagemann, den beiden Autoren des sehr empfehlenswerten Buches „The Leading Brain“.
Corona und das Angstzentrum im Gehirn
Corona ist etwas Neues. Ein Virus. Irgendwie angsteinflößend – oder nicht? Die Bewertung der aktuellen Bedrohung erfolgt in unserem Gehirn blitzschnell, oft ohne dass wir uns darüber wirklich bewusst sind. Zuständig dafür ist unsere Amygdala, der Mandelkern in unserem Gehirn, den wir mit allen Säugetieren gemeinsam haben. Die Amygdala übernimmt für uns die Einschätzung von Gefahren und steuert – ohne, dass wir uns dessen bewusst werden – die Kaskade der (Angst-)Reaktionen, mit denen wir darauf re-agieren.
Diese Angstreaktionen kategorisieren Psychologen oft als „fight“, „flight“ or „freeze“. Denn dies waren die Optionen, die unseren Vorfahren vor Jahrtausenden zur Verfügung standen, als sie angesichts echter Lebensbedrohungen kämpfen, weglaufen oder „sich totstellen“ konnten. Diese lebensrettenden Mechanismen steuern uns auch heute noch. #InZeitenvonCorona ist dies leicht zu beobachten:
- Menschen im „Fight“-Modus kämpfen entschlossen gegen die aktuelle Situation: Führungskräfte mobilisieren ganze Heere von Krisenstäben, Fluten ihre Organisation mit Informationen und starten sehr früh eine Reihe von Aktionen, um ihre Organisation vor Risiken zu schützen und Chancen zu nutzen. Beobachter erkennen darin bisweilen „blinden Aktionismus“ und „Panikmache“ – ein besonnener Umgang mit der Krise sieht sicherlich anders aus.
- Menschen im „Flight“-Modus präsentieren sich angesichts Covid-19 als Verdrängungskünstler. Sie negieren die Gefahren, beschweren sich über Übertreibungen in der Presse und Überreaktionen aus der Regierung und versuchen, einfach wie bisher weiterzumachen. Ich bin persönlich entsetzt, noch an Tag 4 nach Beginn der Shutdown-Maßnahmen in Deutschland aus einzelnen Großkonzernen von solchen Verhaltensweisen im Top-Management zu hören.
- Wer hingegen im „Freeze“-Modus agiert, der taucht beinahe unter. Führungskräfte im Freeze ziehen sich zurück, werden als überaus still wahrgenommen und verunsichern ihre Organisation durch Nichtstun und Mangel an Orientierung. Auch auf nüchterne Analysen des Status Quo folgt erst einmal – nichts.
Das Interessante an diesen Re-aktionen ist, dass sie weitestgehend unbewusst erfolgen und beinahe automatisch unser Handeln steuern. Welche automatischen Re-aktionen erkennen Sie beim Lesen an sich selbst und Ihrem Umfeld?
Besonnenheit – der Moment zwischen Reiz und Reaktion
Vom österreichischen Neurologen und Psychiater Viktor Frankl stammt folgendes Zitat:
„Zwischen Reiz und Reaktion gibt es einen Raum. In diesem Raum haben wir die Freiheit und die Macht, unsere Reaktion zu wählen. In unserer Reaktion liegen unser Wachstum und unsere Freiheit.“
Wenn Politiker und Forscher uns in diesen Corona-geprägten Tagen um besonnenes Handeln bitten, dann bitten sie uns quasi, regelmäßig in diesen Raum zwischen Reiz und Reaktion zu gehen. Statt automatisch mit „Fight“, „Flight“ or „Freeze“ zu re-agieren sind wir angehalten, einen Augenblick innezuhalten und uns die Freiheit zu nehmen, besonnen zu handeln.
Das heißt für uns im Führungsalltag:
- Tief durchatmen, wenn wir merken, dass eine neue Nachricht aus der Außenwelt uns in einen Bedrohungsmodus bringt – sei es eine neue Einschränkung im öffentlichen Leben, der Blick auf die aktuellen Umsatzeinbrüche oder ein Stressmoment im Home Office, das man mit der ganzen Familie teilt
- Zeit einräumen für eine faktenorientierte Umfeldanalyse: Was passiert wirklich gerade? Welche Auswirkungen hat das unmittelbar für mich, meine Familie, meine Organisation? Wo muss ich handeln, wo kann ich die Lage noch länger beobachten?
- Andere Perspektiven einholen: Wie geht es meinem Umfeld? Wie haben wir vergleichbare Situationen in der Vergangenheit gemeistert? Welche Empfehlungen geben Experten für den Umgang mit der aktuellen Situation? Wer kann mir oder meinem Team jetzt helfen, die Situation angemessen zu bewerten?
- Besonnen agieren: Welche Möglichkeiten haben wir, jetzt zu handeln? Wer kann das aufgrund seiner Talente, Fähigkeiten oder Erfahrungen? Wie kann ich diese Kräfte mobilisieren?
All diese Schritte gilt es in diesen Tagen immer wieder zu durchlaufen, deren Auswirkungen zu überprüfen und die ergriffenen Maßnahmen weiter zu verfeinern und zu adjustieren.
Mit Achtsamkeit zu besonnener Führung
Die beschriebenen Prozesse in Gang zu setzen, das erfordert eine mental-emotionale Kapazität, die im letzten Jahrzehnt von vielen erfolgreichen Unternehmen als Schlüsselkompetenz für Führung entdeckt wurde: Achtsamkeit, neudeutsch: Mindfulness.
In ihrem Führungs-Entwicklungsprogramm „Reflective Leadership“ begleiten unsere Kolleginnen Charlotte Kreft und Katja Reimann Führungskräfte, diese Kompetenz zu entwickeln. Vielleicht ist auch für Sie jetzt die Zeit, sich mit dem Konzept der Achtsamkeit und einzelnen Übungen, die dafür helfen zu beschäftigen?
Wir freuen uns über Ihre Erfahrungen, Fragen und Anregungen hierzu.
Bis zum morgigen Blogbeitrag: Bleiben Sie gesund und gehen Sie besonnen durch den Tag!
Autorin: Dr. Britta Müller