Agilisierung von Unternehmen: Entwicklung kann man nicht verordnen
Das Kompetenzen und das richtige Mindset entscheidend für die Agilisierung von Unternehmen sind, hat Dr. Hermann Küster in den vorherigen Beiträgen der Impuls-Interview-Reihe deutlich gemacht. Doch was geschieht davor? Wie wählen Unternehmen die Bereiche aus, die fortan agil handeln und kann man so eine Entwicklung überhaupt verordnen? In dem aktuellen Beitrag greift Dr. Hermann Küster die Bedeutung der intrinsischen Motivation auf und gibt spannende Denkanstöße zu Entwicklungsprozessen in Unternehmen. Dieses Gespräch führte Chiara Beck (CB) mit Dr. Hermann Küster (HK) im Rahmen eines Experteninterviews für ihre Bachelorarbeit an der International School of Management Frankfurt/Main.
CB: Die Agilisierung eines Unternehmens muss intern über alle Organisationebenen und extern, von allen Stakeholdern, akzeptiert und unterstützt werden. Welche Probleme entstehen, wenn es an externer Agilitätsbereitschaft mangelt?
HK: Fehlende Agilitätsbereitschaft in benachbarten Organisationsbereichen ist oft ein großes Problem. Wenn man in einem Teilbereich einer Organisation beginnt agil zu arbeiten, und nicht die ganze Organisation mitzieht, dann ist die größte Herausforderung für die Führung das Interface zur Restorganisation. Viele Manager, die ich begleite, leben in ihrem Verantwortungsbereich in hohem Maße agiles und selbstorganisiertes Arbeiten. Die größte Schwierigkeit ist in der Regel nicht das eigene Team, die eigene Abteilung oder der eigene Bereich, sondern das Verhältnis zum Rest des Unternehmens bzw. zu Kunden. Hier liegt die Herausforderung darin, zwischen klassischem und agilem Denken Brücken zu bauen, weil es hier eine Tendenz zum gegenseitigen Abwerten gibt. Die Agilen, das sind halt die Spinner, die machen, was sie wollen und sowieso nur Geld verbrennen, wir sind die, die die Arbeit machen und das Geld verdienen und den Laden zusammenhalten. Und umgekehrt da die Bedenkenträger, Verhinderer und bürokratischen Sesselfurzer und hier wir, die endlich Innovation in den Laden bringen. Da gibt es ganz viel gegenseitige Abwertung und das erschwert die Zusammenarbeit. Ich vermute, dass im Ganzen agile Organisationen noch für lange Zeit die Ausnahme bleiben. Wir werden Mischformen haben. Die Gestaltung der Zusammenarbeit zwischen dem klassischen und dem agilen Bereich ist dabei die größte Herausforderung.
CB: Müssen die Kunden bei diesem Schritt unterstützen und sollten Lieferanten sich anpassen? Glauben Sie, es erschwert die Zusammenarbeit, wenn die Organisation im Gegensatz zu Stakeholdern agil arbeitet?
HK: Lieferanten können sich zum Beispiel anpassen oder auch nicht. Beides ist möglich und beides muss möglich sein. Die Frage ist, wieviel gegenseitiges Verständnis gibt es und wieviel gegenseitigen Respekt. Es ist ein Kernstück unserer Arbeit zu sagen, dass klassische Führung und Steuerung und agile Führung radikal unterschiedlich sind. Und wir brauchen beides, deshalb brauchen wir Verständnis für diese Unterschiedlichkeit. Es ist niemandem damit gedient zu sagen: Jetzt müssen alle agil werden. Das erzeugt nur Ängste und oft massive Widerstände. Es ist auch technisch nicht umsetzbar, wenn man davon ausgeht, dass nur etwa 10% bis 20% der Manager über den Mindset verfügen, der sie befähigt, agiles Arbeiten pionierhaft zu treiben. Was macht man denn mit dem Rest? Was hilft ist in ausgewählten Bereichen mit denen anzufangen, die intrinsisch motiviert sind. Und diese Pionier-Bereiche müssen damit leben, dass andere Bereiche der Organisation noch anders ticken. Und gleichzeitig gilt es, Brücken zu bauen. Das ist die größte Aufgabe. Und wenn sich agile Arbeitsweisen in Teilen der Organisation erstmal pionierhaft etabliert haben ohne dass dadurch Spaltung entstanden ist, wird es für andere Bereiche zunehmend leichter, diese zu übernehmen.
CB: Wie wählen Unternehmen Bereiche aus, die nun agil Arbeiten sollen?
Es ist schwierig in klassischen Strukturen agile Subkulturen oder Bereiche überhaupt erst einmal so aufzubauen, dass sie nicht sofort wieder plattgemacht werden. Aber die noch größere Herausforderung ist die Zusammenarbeit zwischen dem agilen und dem klassischen Teil zu gestalten. Manche Unternehmen umgehen das Problem, indem sie z.B. eine Fabriketage in Berlin anmieten. Dort gibt es dann eine Startup-Kultur, die aber mit dem Rest des Unternehmens in Frankfurt oder Hintertupfingen gar nichts zu tun hat. Sie entkoppeln klassisches und agiles Arbeiten einfach. Das kann man natürlich machen. Aber entkoppelt ist dann auch entkoppelt. Oft zeigt sich dann, dass das was da entsteht, für die Organisation als Ganzes wenig verwertbar ist.
CB: Um organisationsinterne Wissenssilos aufzubrechen, bedarf es Führungstrainings, die sicherstellen, dass Führungskräfte ihre Mitarbeiter im Lernprozess unterstützen, Fachkompetenzen, Cross-Koordination und Zusammenarbeit zu verinnerlichen. Was ist Ihre Meinung zu dieser Behauptung?
HK: Es ist wichtig, dass Führungskräfte diese Denk- und Arbeitsweise selbst verkörpern können. Dazu brauchen sie ein Stück Entwicklungsunterstützung, aber auch Lern- und Entwicklungsneugier. Sie müssen die gewünschte, agile Handlungsweise selbst leben, sie müssen das ein Stück verkörpern. Aufgabe der Organisation ist, sie darin zu unterstützen. Wenn ich also Führungskräfte in Lernen und Entwicklung unterstütze, dann werden die, die da anbeißen, auch ihre Mitarbeiter im Lernen und Entwickeln unterstützen, ganz von allein. Was man braucht, sind Lern- und Entwicklungsbegleiter. Führungstrainings sind dabei nur eine mögliche Form, es können auch andere Formen sein. Es kann Coaching sein, es können regelmäßige Treffen sein, es können Communities of Interest sein, es gibt viele Möglichkeiten. Es braucht Lern- und Entwicklungsunterstützung für die Manager, die sich intrinsisch motiviert weiterentwickeln möchten.
CB: Also das bedeutet, dass sich der Leader erst einmal selbst entwickeln muss hin zum agilen Leader, um die Mitarbeiter bei der Veränderung zu unterstützen?
HK: Genau. Er muss sich selbst entwickeln und daraus ergibt sich ganz von allein der Wunsch, seinen Mitarbeitern Entwicklungsraum zu geben. Das ist es, was ich immer wieder beobachte. Der Grund ist eigentlich ganz einfach: man kann ja niemanden zwingen sich zu entwickeln. Durch ein verordnetes Führungstraining kann man niemanden zu einem agilen Leader machen. Was es braucht, sind Angebote und Unterstützung für die, die wollen. Und die anderen respektvoll in Ruhe lassen und nicht denen etwas aufzuzwingen. Lernen und Entwicklung vom klassischen zum agilen Leader ist nur nachhaltig und sinnvoll, wenn er freiwillig stattfindet. Hier geht es um tiefgreifende Persönlichkeitsentwicklung und die kann man nicht verordnen.
CB: Die intrinsische Motivation des Leaders ist also der erste Schritt?
HK: Richtig. Die muss unterstützt werden durch eine Vielzahl von guten Angeboten. Das können Führungstrainings sein, das können Kreise sein, in denen Leute zu interessanten Themen zusammenkommen. Das kann eine Ausbildung in Change-Management sein, das kann sein, dass die Leute eine Coaching-Ausbildung finanziert bekommen. Es gibt 10.000 Möglichkeiten und das ist eine zentrale Aufgabe der HR, für die, die wollen. Aber nicht die, die nicht wollen, dazu zu zwingen. Das würde zu nichts führen.
Zu der Autorin und dem Autor:
Dr. Hermann Küster
ist seit 2001 tätig als Coach und Entwicklungsbegleiter für innovative Entscheider und Topmanagement in Konzernen und mittelständischen Unternehmen unterschiedlichster Branchen, von Luftfahrt bis Mode. Als Pionier agiler Führungsansätze (Leadership Agility) in Deutschland sind diese in Zusammenarbeit mit Bill Joiner (Boston) bereits seit 2010 ein Kernstück seiner Coaching- und Beratungstätigkeit. Hier ist er oft sowohl Impulsgeber für Top-Management als auch Coach für die Pioniere eines agilen Mindsets und empowerter, selbstorganisierter Teams. Darüber hinaus bildet er seit 15 Jahren Coaches und Berater in transformativen Coaching-Ansätzen aus.
Chiara Beck
führte dieses Gespräch im Rahmen eines Experteninterviews für ihre Bachelorarbeit an der International School of Management Frankfurt/Main.